Land, Leute und Geschichten

Dornröschen und Rapunzel, Rumpelstilzchen und Aschenputtel, sie alle leben mitten in Europa. Das Märchenland der Brüder Grimm umfasst auch den Landkreis Kassel.

Im Kreis gibt es rund 500 km² Wald, das ist mehr als ein Drittel der Gesamtfläche, und allein für eine Wanderung durch den Reinhardswald braucht man gut acht Stunden – die Pause im Dornröschenschloss Sababurg ist dabei noch gar nicht eingerechnet. Insgesamt umfasst der Kreis eine Fläche von knapp 1.300 km². Zum Kreis gehören 28 Städte und Gemeinden, Baunatal als größte Stadt hat mittlerweile 28.000 Einwohner, Nieste als die kleinste Gemeinde zählt 1.800 Menschen. Ihre jüngere Vergangenheit geht auf die Gebietsreform in den frühen 70er Jahren zurück, bei der sich die bis dahin selbständigen rund 100 Ortschaften zu ihrer heutigen Form zusammenschlossen.

Die Geschichte der Städte und Gemeinden reicht jedoch viel weiter, wie schon ein Blick auf deren historischen Fachwerkkerne zeigt. Wer ein Auge dafür hat, wird schnell eine Besonderheit entdecken: Nur wenige Kilometer nördlich von Kassel verändert sich die Fachwerkarchitektur, hier finden sich keine hessischen Bauten mehr, sondern niederdeutsche Häuser, die man durch die fast scheunentorgroße „Deele" betritt.

Es ist kein Zufall, dass die „Fachwerkgrenze" mitten im Landkreis mit der wichtigsten deutschen Sprachgrenze zusammenfällt, die die hochdeutschen von den niederdeutschen Mundarten trennt. Keine geringeren als die Brüder Grimm interessierten sich für die auffallenden Lautverschiebungen in den Dialekten die Grundlagen ihrer sprachwissenschaftlichen Arbeiten und damit der Germanistik entstanden genau hier.
Für Interessierte bietet die GrimmWelt am Kasseler Weinberg eine Fülle von interessanten Informationen zu Leben und Werk der Brüder Grimm.

Sehenswürdigkeiten bieten sich überall im Kreis. Fast vier Dutzend Burgruinen zählt man im Märchenland, ein Besuch empfiehlt sich auch in der gut erhaltenen Trendelburg, aus deren hohen Turm man mitunter noch Rapunzels Haarzopf hängen sehen kann.

In Kaufungen ist mit der Stiftskirche eine fast tausendjährige Geschichte lebendig geblieben. Hier gründete Kunigunde, Gattin des Kaisers Heinrich II, ein Kloster, in dem sie ihre letzten Lebensjahre verbrachte. Im Zuge der Reformation wurde daraus ein Stift und bis heute sind die malerischen Gebäude rund um den Stiftshof Sitz der hessischen Ritterschaft.

Das Evangeliar Heinrich des Löwen und damit eines der bedeutensten Werke mittelalterlicher Buchkunst ist als Faksimile in Helmarshausen zu bewundern.

Hans Staden ist ein spannender Vertreter der beginnenden Neuzeit. Im Jahr 1550 erlitt er vor der Küste Südamerikas Schiffbruch und wurde schließlich von „ Menschenfressern" gefangen, ehe ihn ein günstiges Schicksal fünf Jahre später zurück in die nordhessische Heimat führte. Dort, in Wolfhagen, verfasste er dann auch seinen Reisebericht „Wahrhaftige Historia“, ein sowohl historisch als auch literarisch bedeutendes Zeugnis. Die Sammlung Staden ist heute in Wolfhagen zu sehen.

Ein ganzes Stadtbild als lebendige historische Kulisse bietet die Stadt Bad Karlshafen, neben Bad Emstal einer der beiden Kurorte im Kreis. „Carlshafen", wie es damals hieß, wurde im Jahr 1699 von französischen Hugenotten gegründet, die hier an der Weser Zuflucht gefunden hatten vor ihren religiösen Verfolgern. Die weißen Gebäude im Stil des französischen Barocks rund um das Hafenbecken gelten als einzigartiges Zeugnis.

Östlich von Kassel befindet sich das Schlösschen Windhausen. Hier lebte der aus Preußen stammende Minister Martin Ernst von Schlieffen, der dem ebenso kunstbesessenen wie geldknappen Landgrafen Friedrich II als Berater diente.

Schlieffens Name ist eng verbunden mit der Geschichte der verkauften hessischen Soldaten, die auf der Seite der englischen Truppen die gegen die nach Unabhängigkeit strebenden Amerikaner unter Georg Washington kämpfen mussten. Von den 30.000 Soldaten, die ab 1776 nach Amerika geschickt werden, kommen 17.000 aus Hessen-Kassel und zum großen Teil sind es „Landeskinder". Erst im Jahr 1884 kehren die letzten von ihnen in die Heimat zurück. 3.000 waren auf den Schlachtfeldern gefallen und 10.000 in der Neuen Welt geblieben.

Einer der Rückkehrer ist der Dichter Johann Gotthold Seume, der als Student von Werbern zum Kriegsdienst gepresst worden war. In seiner Autobiographie „Mein Leben" erzählt er von diesen Erfahrungen. Später hat die Schriftstellerin Sandra Paretti die historischen Ereignissen zur Grundlage ihres Romans "Der Winter, der ein Sommer war" gemacht, der 1976 als mehrteiliger Fernsehfilm an den nordhessischen Schauplätzen verfilmt wurde.

Schloss Wilhelmsthal gilt als das schönste Rokokoschloss nördlich des Mains. Das Schloss kann im Rahmen von Führungen besichtigt werden, der Park ist frei zugänglich. Das Schlossgebäude besitzt noch die reiche historische Innenausstattung sowie Malereien von Johann Heinrich Tischbein. Wer es besucht, sollte nicht versäumen, einen Blick in die Silberkammer zu werfen, in der Hunderte von Zinnsoldaten in historisch sorgfältig gestalteten Dioramen die letzte Schlacht des Siebenjährigen Krieges nachstellen.

Etwa ein Dutzend Regionalmuseen erzählen die Geschichte des Alltags auf unterschiedliche Art und Weise. Sehenswert ist jedes von ihnen. Besonders erwähnt werden sollen hier nur die jüdische Abteilung des Stadtmuseums Hofgeismar und das Währungsmuseum in Fuldatal-Rothwesten, ein Ort, der nicht nur die Geschichte der DM erzählt, sondern der auch eng damit verbunden ist.

Und immer wieder begegnet man den Brüdern Grimm. Und das nicht nur auf dem 1000-Mark-Schein in Rothwesten. Manchmal braucht es ein wenig Phantasie und manchmal ist es ein Originalschauplatz wie die Dorothea-Viehmann-Stube in der Knallhütte bei Baunatal, wo Jakob und Wilhelm der Märchenerzählerin zuhörten. Und auch in der Kunst finden sich die Grimms wieder wie im Schauenburger Ortsteil Breitenbach, wo der Künstler Adi Schindehütte die Märchenwache gestaltete.

Eingebettet in einer landschaftlich reizenden Lage, verkehrsgünstig angebunden, findet man die Konzertscheune Calden. Eine historische Scheune, die umgebaut heute als kultureller Geheimtipp unter den Kennern gilt. Neben Events, Konzerten und Veranstaltungen jeglicher Art hat sich seit Jahren das Caldener Oster Varieté und das Caldener Winter Varieté als Höhepunkt etabliert. Ein weiteres kulturelles Highlight ist das "Wolfhager Kulturzelt".

Kultureller und auch wirtschaftlicher Mittelpunkt der Region ist natürlich Kassel. Die Stadt der Documenta mit der einzigartigen Kulisse des Herkules auf dem Kamm des Habichtswaldes. Von hier oben aus bietet sich ein eindrucksvoller Blick auf den Bergpark und das Schloss Wilhelmshöhe, weiter über die Dächer der Stadt mit der Universität in ihrer Mitte hinaus auf das Kasseler Becken, an dessen Rande die Fulda auf ihrem Weg ins niedersächsische Hannoversch Münden fließt, um sich dort zusammen mit der Werra zur Weser zu vereinen, die entlang des Reinhardswaldes nach Norden führt.