„Wir müssen uns von der Scham befreien“

Jugendbildungswerk beteiligt sich an der Fachtagung „Body Positivity!“ - ein Gespräch mit der Feministin Laura Méritt über retouschierte Bilder und die Macht der Schönheitsideale

Region Kassel. Die Fachtagung "BodyPositivity!" im Haus der Jugend in Kassel ist gut besucht. Rund 100 Interessierte aus den Bereichen Pädagogik, Jugendarbeit, und Sport sowie Lehrkräfte aus ganz Nordhessen sind gekommen. Und obwohl es um ein ernstes Thema geht, wird nicht nur intensiv diskutiert, sondern auch viel gelacht. Alles dreht sich um den menschlichen Körper. Seine Selbst- und Fremdwahrnehmung, die Schönheitsideale in den Medien und natürlich auch darum, wie man sich von falschen Bilder freimachen kann. In einer Pause ist Gelegenheit mit der Hauptrednerin und sex-positiven Feministin Dr. Laura Méritt ein kurzes Gespräch zu führen:

Dr. Laura Méritt ist Herausgeberin des Standardwerkes zur weiblichen Sexualanatomie „Frauenkörper neu gesehen“ und führt sexualpolitische Kampagnen durch. Jeden Freitag veranstaltet sie den Freitags-Freuden-Salon in Berlin, der sich um Sex, Gender und Politik dreht.

Frau Méritt, was ist unter Body Positivity zu verstehen und warum ist es gerade jetzt so aktuell?

Méritt: Das Wort entstand in der Frauengesundheitsbewegung, die sich seit den 60ern für einen positiven Zugang zum Körper und der Sexualität einsetzt und dies in Worten, Bildern und Verhalten umsetzt. Damals wiesen Feministinnen darauf hin, dass gesellschaftliche Normierungen auch unsere eigene Wahrnehmung prägen. Heute sind wir durch die sozialen Medien, mit allseits retuschierten Körpern verstärktem Druck ausgesetzt.

Immer mehr junge Menschen und vor allem Mädchen leiden unter Essstörungen, um sich zu optimieren.

Méritt: Hier hat zum Beispiel "FAT Activism" viel erreicht, der auf Diskriminierung von "Dicken" hinweist, die schnell als krank und hässlich bewertet werden. Was als gesund gilt, ist übrigens auch normiert und hat mit Wohlfühlen und dem Gesundheitsstatus einzelner Personen wenig zu tun. Die LGBTQI-Bewegung* kämpft in einigen Ländern immer noch dafür, nicht als krank diagnostiziert zu werden. Damit beschäftigte sich zum Beispiel auch ein Workshop der Tagung. (*Die Abkürzung LGBTQI steht für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, transgender, queere und intersexuelle Menschen)

Was ist noch alles normiert?

Méritt: Gesicht, Haare, Haut, Bauch, Beine, Po, Brüste, Genitalien, Hände, Füße … wenn wir den Körper durchgehen, bleibt eigentlich kein Teil von der Schönheits- und Pharmaindustrie verschont. Damit lässt sich sehr viel Geld, vor allem mit Frauen als Konsumentinnen, verdienen. Erst sagt man ihnen, dass sie anormal und hässlich sind, dann verkauft man ihnen Mittel und Therapien, um die normierte Schönheit zu erlangen. Normiert sind auch Bilder von beispielsweise People of Colour, die es gilt, bewusst zu machen und in Vielfalt aufzulösen. Normierungen dienen der Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen, Schichten beziehungsweise vorgestellten Kulturen und werden in Zusammenhang mit Macht zu Mitteln der Unterdrückung. Laurie Penny hat in ihrem Buch "Fleischmarkt" betont: "Wenn alle Frauen dieser Welt morgen früh aufwachen und sich in ihren Körper wirklich wohl und kraftvoll fühlten, würde die Weltwirtschaft zusammenbrechen".

Was können wir dagegen tun?

Méritt: Selbsterkundung und Selbstliebe sind wichtig und dazu braucht es Empowerment. Das können wir über positive Worte und positives Handeln tun, allein die anatomischen sexuellen Begriffe könnten wir schon mal von der Scham befreien! Wir können uns Vorbilder suchen, wie die Sängerin Beth Dito, die selbstbewusst sagt, sie ist ein kleines, dickes, lesbisches Mädchen, die ihr Ding macht und alle dazu auffordert. Oder die Williams Schwestern, die selbstbewusst gegen sexistische und rassistische Diskriminierungen im Tennis aufschlagen. Vielfalt feiern, Freude an der Bewegung entwickeln und Lachen als Quelle des Lebens praktizieren.

Hintergrund

Die Fachtagung "BodyPositivity!" wurde organisiert vom Malala Mädchenzentrum, Dynamo Windrad, dem Jugendbildungswerk des Landkreises Kassel und den Frauenbeauftragten der Stadt und des Landkreises Kassel. Neben dem Vortrag von Laura Méritt zu BodyPositivity konnten die Teilnehmenden zwischen vier Workshops wählen. Laura Méritt und Veronika King arbeiteten zu positiver Sprache. Katharina Avemann vom Zentrum für Essstörungen Frankfurt stellte ihre Kampagne "#was_ich_will" vor, die sich mit Schönheitsnormierungen in sozialen Medien beschäftigt. Yasmina Gandouz-Touati von der FH Bielefeld und der LAG Mädchenpolitik NRW gab einen Workshop zu rassifizierten Körpernormierungen und Suse Umscheid von der Aidshilfe Kassel und SCHLAU zu queeren Körpern.