„Der Mord an Dr. Walter Lübcke wird unsere Arbeit beeinflussen“

Ein Gespräch mit Lillemor Kuht vom Jugendbildungswerk des Landkreises Kassel über das Programm für das 2. Halbjahr 2019

Landkreis Kassel. Die Ermordung von Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke hat viele Menschen in der Region erschüttert. Die Anteilnahme in der Bevölkerung ist groß. Insgesamt über 10.000 Menschen kamen zu Kundgebungen in Wolfhagen und Kassel, um ihre Trauer zu bekunden, aber auch um ein Signal gegen rechtsextremistische Gewalt zu setzen. Eine der immer wieder geäußerten Kernaussagen dabei: Wir müssen rechtsextreme Gewalt auf allen Ebenen bekämpfen. Für Lillemor Kuht vom Jugendbildungswerk des Landkreises Kassel steht deshalb fest: „Der Mord an Dr. Walter Lübcke wird auch unsere Arbeit beeinflussen.

Lillemor Kuht vom Jugendbildungswerk des Landkreises Kassel

Frau Kuht, in wie weit hat der Mord an Dr. Walter Lübcke Auswirkungen auf das aktuelle Programm des Jugendbildungswerkes?

Kuht: Direkte Auswirkungen hat der Mord nicht, weil das gerade erschienene Programm für das 2. Halbjahr 2019 ja schon vor einigen Wochen geplant und organisiert werden musste. Indirekt jedoch schon, weil wir natürlich die schreckliche Tat und die möglichen Hintergründe in einigen unserer Seminare aufgreifen und thematisieren werden.

Dazu muss man sagen, dass die Kreisjugendförderung und das Jugendbildungswerk nicht erst jetzt auf das Thema aufmerksam geworden sind. Vielmehr beschäftigen wir uns schon seit vielen Jahren mit der extremen Rechten und unterschiedlichen Formen der Diskriminierung, die auch alltäglich passieren.

Wie dürfen wir uns das vorstellen?

Kuht: Rechtsextreme Netzwerke, die Gefahr die von Rassismus ausgeht, das alles wurde viel zu lange verharmlost. Dabei fängt Rassismus nicht erst bei rechten Morden an, sondern ist gesellschaftlich breit verankert. Die Hetze gegen Geflüchtete und Migranten und Migrantinnen, die seit einigen Jahren wieder lauter wird, hat einen wesentlichen Anteil daran, dass Nazis sich berufen fühlen solche Morde zu begehen. Was wir machen können ist Aufklärung. Gerade bei jungen Menschen, die noch auf der Suche nach einem eignen Weltbild sind. Und gerne möchten wir diejenigen bestärken, die von rechter Hetze betroffen sind oder sein könnten und für die, die sich weiterhin gegen Rassismus und Rechtsextremismus stark machen.

Unter dem Titel „Lernen aus dem NSU-Komplex“ bieten Sie einen Bildungsurlaub für Auszubildende an. Was dürfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwarten?

Kuht:  In diesem Bildungsurlaub, den wir gemeinsam mit „Arbeit und Leben Hessen“ anbieten, werden wir unter anderem die Keupstraße in Köln besuchen, in der der NSU 2004 eine Nagelbombe deponierte, die sehr viele Menschen schwer verletze und traumatisierte. Wir werden wir viele spannende Menschen treffen, wie zum Beispiel Überlebende des Nagelbombenanschlags, die sich seitdem gegen Rassismus und die Gefahren von rechts einsetzen.

Ein Anwohner aus der Keupstraße hat danach gesagt „Wenn die wahren Verstrickungen nicht aufgedeckt werden, kann es wieder passieren.“ Leider hat er Recht behalten, wie wir heute wissen. Wir haben zu wenig aus dem NSU-Komplex gelernt, zu wenig auf diejenigen gehört, die selbst Betroffen waren und sind.

Und über das NSU-Mordopfer Halit Yozgat schlagen Sie den Bogen nach Kassel?

Kuht: Genau. Wir wollen uns mit dem Kampf um ein Mahnmal, das an die Anschläge des NSU erinnert, beschäftigen und auch nach dem Gedenken in der Stadt Kassel fragen. Die Frage ist doch: Wie wollen wir Gedenken? Welche Rolle hat Gedenken, im Engagement gegen aktuelle rechte Bestrebungen? Das sind Fragen, die uns beschäftigen sollten. Dabei werden wir immer auf die Frage zurückkommen: Was können wir aus dem NSU-Komplex, was können wir aus dem Mord an Walter Lübcke lernen, damit so etwas nie wieder geschieht?

Der Zusammenhang zwischen den NSU-Morden und dem Mord an Dr. Walter Lübcke wird sich vielen Menschen schnell erschließen. Beim ebenfalls angebotenen Projekt „Reflecting Gender“ ist das nicht so offensichtlich. Worum geht es bei diesem Projekt?

Kuht: Das Projekt „Reflecting Gender“ richtet sich an junge Menschen von 15 bis 27 Jahren und beschäftigt sich weitgreifender mit den Entstehungsbedingungen von Rassismus am Beispiel des Kolonialismus und der NS-Zeit und fragt dabei auch nach der Rolle von Geschlecht. Spätestens seit Beate Zschäpe als Teil des NSU-Netzwerkes wegen zehnfachen Mordes verurteilt wurde, ist die Frage nach der Rolle von Frauen in der rechten Szene offensichtlich.

Aber eigentlich beginnt das Problem ja viel früher: Rechtspopulisten wollen Frauen wieder an den Herd schicken. Kopftuch-Debatten polarisieren viele Freundeskreise. Von Andreas Gabalier bis Fler wird mit Frauenverachtung und Rassismus Karriere gemacht.

Das besondere an dem Projekt „Reflecting Gender“ ist, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, gemeinsam mit Medienblitz e.V. und dem Freien Radio Kassel, eine Radiosendung produzieren, die einen roten Faden durch das Projekt ziehen wird. 

Frau Kuht, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Programm des Jugendbildungswerks im Landkreis Kassel und der Kreisjugendförderung Kassel für das 2. Halbjahr 2019

Der Bildungsurlaub „Lernen aus dem NSU-Komplex“ für Auszubildende und das Projekt „Reflecting Gender“ sind Teil des Programms des Jugendbildungswerks im Landkreis Kassel und der Kreisjugendförderung Kassel für das 2. Halbjahr 2019. Das gesamte Programmheft, mit vielen weiteren Veranstaltungen, liegt kostenlos im Kreishaus (Wilhelmshöher Allee 19-21, 34117 Kassel) aus und kann auch über das Internet auf der Seite www.landkreiskassel.de aufgerufen werden. 

Weitere Informationen bei der Jugendbildungsreferentin Lillemor Kuht unter Telefon 0561-10031854 oder per Mail an:  lillemor-kuhtlandkreiskasselde.